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ACM-Mitteilungen vom 26. August 2017

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Liebe Leserin, lieber Leser,

am 17. August habe ich einen Hungerstreik begonnen.

Die Lage vieler Patienten, die eine Therapie mit Cannabis benötigen, ist trotz des Gesetzes vom 10. März 2017, in das wir alle so große Hoffnung gesetzt haben, weiterhin katastrophal. Viele Betroffene sind sehr verzweifelt, und ich erlebe das fast täglich. Ich kann das kaum noch ertragen. Dabei hatten wir gedacht, (fast) am Ziel zu sein. Entsprechend euphorisch war die Stimmung im Deutschen Bundestag bei allen Parteien während der Diskussion und der Verabschiedung des Gesetzes am 19. Januar. Mein Hungerstreik ist ein Ausdruck dieser Verzweiflung.

Ich bedanke mich sehr für die vielfältige Unterstützung. Es gibt auch viele Rückmeldungen aus dem Ausland. Die Probleme sind vielfach ähnlich, wenn auch national immer anders gelagert. Wenn es um das Thema Cannabis als Medizin geht, liegt der Anteil der Entwicklungsländer bei über 90 %.

Es ist vielleicht nur ein schwacher Trost für viele, die diese Zeilen lesen, und für die es vielleicht zu spät kommt: Die Straffreiheit von Patienten, die Cannabis oder cannabisbasierte Medikamente nach Auffassung eines Arztes benötigen, wird kommen. Es ist eine Frage der Zeit. Wir können versuchen, Katalysatoren zu sein, Menschen, die die Geschwindigkeit der historischen Entwicklung beschleunigen.

Beste Grüße

Franjo Grotenhermen

Erklärung zu Beginn des Hungerstreiks

Ich bin am 17. August 2017 in einen unbefristeten Hungerstreik getreten.

Das Ziel der Verweigerung der Aufnahme jeglicher Nahrung ist die Entkriminalisierung aller Bundesbürger, die Cannabis zur Behandlung ihrer schweren Erkrankungen benötigen.

Am 10. März 2017 ist in Deutschland ein viel diskutiertes Gesetz zu Cannabis als Medizin in Kraft getreten. Es war das erklärte Ziel des Gesetzgebers, allen Patienten, die eine Therapie mit Cannabis-Medikamenten benötigen, diese auch zu ermöglichen. Das Gesetz erweist sich jedoch in der Praxis als Bürokratiemonster. Daher ist eine Behandlung mit Cannabis und Cannabinoiden auch für Kassenärzte, die eine solche Therapie grundsätzlich unterstützen, unattraktiv. Viele Patienten finden in der Folge keinen Arzt, der ihnen einen legalen Zugang zu einer entsprechenden Behandlung eröffnet.

Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz einen großen Schritt in die richtige Richtung getan. Viele Patienten sind jedoch weiterhin auf eine heute noch als juristisch illegal behandelte Versorgung angewiesen. Ihnen drohen Strafverfahren. Das ist nicht mehr hinnehmbar. Daher muss eine grundsätzliche Klarstellung im Betäubungsmittelgesetz her. Die Strafverfolgung von Patienten, denen ein Arzt die Notwendigkeit einer Therapie mit Cannabis bescheinigt hat, muss beendet werden.

Bereits heute erlaubt das Betäubungsmittelgesetz Staatsanwälten beim Vorliegen einer „geringen Schuld“ die regelhafte Einstellung eines Strafverfahrens. Diese Regelung kommt vor allem beim Besitz geringer Mengen von Cannabis infrage. Grotenhermen fordert, dass Strafverfahren grundsätzlich auch eingestellt werden sollen, wenn schwerkranke Bundesbürger Cannabis aus medizinischen Gründen benötigen. Die Notwendigkeit einer Cannabis-Therapie sollte nicht von der Justiz, einer staatlichen Behörde oder einer Krankenkasse beurteilt werden, sondern wie bei anderen Therapieverfahren auch von einem Arzt.

Ich unterstütze weiterhin nachdrücklich einen unkomplizierten Zugang von Patienten zu standardisierten Präparaten aus der Apotheke. Insofern ist es notwendig das bestehende Gesetz nachzubessern. Mit der Strafverfolgung der weiterhin existierenden Verlierer der Rechtslage muss jedoch ebenfalls Schluss sein. Mir ist kein überzeugendes Argument bekannt, mit dem die Strafverfolgung von Patienten weiter aufrechterhalten werden kann. Eine entsprechende Änderung des Betäubungsmittelgesetzes ist daher folgerichtig und unausweichlich.

Erklärung des Vorstandes der ACM, 25. August 2017

„Der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) nimmt mit großem Bedauern zur Kenntnis, dass ihr 1. Vorsitzender, Herr Dr. med. Franjo Grotenhermen, am 17.08.2017 in einen unbefristeten Hungerstreik getreten ist. Der Vorstand der ACM erklärt hiermit, dass er die Forderungen von Dr. Grotenhermen ausdrücklich und uneingeschränkt unterstützt. Bereits seit dem Jahr 2001 fordert die ACM die Entkriminalisierung von Cannabis-Patienten.

Nach Ansicht des Vorstandes der ACM hat das im März 2017 in Kraft getretene Gesetz zu Cannabis als Medizin nicht in ausreichendem Maße zu den notwendigen und beabsichtigten Verbesserungen für Behandlungen mit Cannabis und Cannabis-basierten Medikamenten geführt.

Der Vorstand der ACM ist allerdings schockiert darüber, dass ihr 1. Vorsitzender keinen anderen Weg mehr sah, um diesen berechtigten Forderungen Nachdruck zu verleihen, als in einen Hungerstreik zu treten. Unter Inkaufnahme einer Gefährdung seiner eigenen Gesundheit macht er damit stellvertretend das Ausmaß der eingetretenen Ernüchterung und der momentanen Verzweiflung vieler Patienten deutlich.

Der Vorstand der ACM fordert Dr. Grotenhermen hiermit nachdrücklich dazu auf, den Hungerstreik sofort zu beenden. Wir wünschen uns stattdessen, die seit vielen Jahren erfolgreiche Arbeit zum Thema „Cannabis als Medizin“ gemeinsam mit ihm fortzusetzen und sind davon überzeugt, dass wir unsere Ziele ohne ihn nicht werden erreichen können.

Der Vorstand der ACM verbindet diese Erklärung mit der eindringlichen Bitte an alle verantwortlichen Politiker, in einen Dialog einzutreten, um die ursprünglich mit dem Gesetz verfolgten Ziele tatsächlich zu erreichen. Wir hoffen auf ein verantwortungsvolles Handeln aller Beteiligten. Wir sind sehr besorgt um die Gesundheit und das Leben unseres 1. Vorsitzenden.“

Der Vorstand der ACM:

Prof. Dr. med. Kirsten Müller-Vahl, 2. Vorsitzende

Gabriele Gebhardt

Dr. med. Sylvia Mieke

Carsten Elfering

Rainer Thewes

Marc Ziemann

Stellungnahme des SCM zum Hungerstreik von Franjo Grotenhermen

Das Selbsthilfenetzwerk-Cannabis-Medizin erklärt sich solidarisch mit dem Hungerstreik Dr. Franjo Grotenhermens. Wir unterstützen die Forderung:

Die Strafverfolgung von Patienten muss sofort beendet werden!

Die Mehrzahl schwer kranker Patienten, die aus gesundheitlichen Gründen dringend Cannabis benötigt, muss unter beständiger Kriminalisierung leiden und zusätzlich gegen die fragwürdigen Umsetzungen des erst im März 2017 implementierten Gesetzes kämpfen. Die Betroffenen tragen dabei in aller Regel die gesundheitlichen Folgen dafür, dass Ärzte sich weigern, aus Angst vor Regress Cannabis zu verschreiben,

Krankenkassen Kostenübernahme-Anträge vielfach mit vorgeschobenen Scheinargumenten ablehnen und so unnötigerweise eine Welle an Sozialgerichtsverfahren auslösen, regelmäßige Versorgung der Apotheken mit Cannabisblüten mit bürokratischen Mitteln und dabei wechselnden Schuldzuweisungen behindert wird, Lobbyverbände die Umsetzung des Gesetzes mit nachweislich falschen Kostenberechnungen und mit unangemessenen Forderungen nach zeitaufwändiger wissenschaftlicher Evidenz aktiv blockieren das Bundesministerium für Gesundheit trotz wegweisenden BVerwG-Urteils sich weigert, Cannabis-Eigenanbau für Patienten zuzulassen.

Wenn aber der Gesetzgeber – wie schon in den vergangenen 9 Jahren – nicht in der Lage ist, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sämtlichen Patienten, für die Cannabis das bessere Therapeutikum der ersten Wahl ist, eine lückenlose Versorgung mit diesem Mittel garantiert werden kann, dann darf und muss (nicht nur nach Auffassung des SCM) jeder Patient sich selbst versorgen, um möglichen weiteren Schaden von sich abzuwenden.

Das ist nicht nur verbrieftes Menschenrecht – sondern auch Tenor höchster Verwaltungsgerichts-Rechtsprechung. Dieses Recht darf nicht weiter durch BMG und BfArM gebeugt oder umgangen werden.

Es muss nun vorrangige Aufgabe des Kabinetts sein, dem schuldhaft verursachten Chaos in Sachen Cannabis als Medizin und daraus resultierender Patientenkriminalisierung sofortigen Einhalt zu gebieten und geltende Menschenrechte durchzusetzen.

Es gibt keine plaubsible Erklärung dafür, warum Patienten, die nach der Auffassung eines Arztes eine Behandlung mit Cannabis oder Cannabinoiden benötigen, weiterhin strafrechtlich verfolgt werden sollen.

Dringlicher Wunsch des SCM ist daher, dass von den verantwortlichen Politikern rechtzeitig Signale ausgesendet werden, die Dr. Grotenhermen als verbindliche Zusage für baldige Veränderung werten und eine Gefährdung seines Lebens durch baldigen Abbruch seines Hungerstreiks vermieden werden kann.

Gabriele Gebhardt, Axel Junker

(Sprecher des SCM)

Kassenärztliche Vereinigung Hessen verweist auf zwei Einzelfälle, die belegen sollen, dass die Therapie mit Cannabisblüten teurer ist als mit cannabisbasierten Medikamenten

Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen begründete ihre Auffassung, dass Cannabisblüten teurer ist als die Behandlung mit Dronabinol, Sativex oder Canemes mit zwei Einzelfällen.

Zuvor hatte sie in ihrem Newsletter info.pharm vom August 2017 Ärzte aus Hessen über Kosten einer Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten bzw. Cannabisblüten informiert. Das SCM und Dr. Grotenhermen hatten dem Autor in einem Schreiben eine mangelnde Erfahrung mit dem Thema vorgehalten.

Den Brief des Autors des Newsletters Dr. med. Wolfgang LangHeinrich dokumentieren wir hier. In einer Antwort schrieb Dr. Grotenhermen: „ich habe keinen Zweifel an Ihren guten Absichten. Ich bezweifle auch keineswegs, dass die von Ihnen angeführten Therapiekosten real sind. Sie beruhen auf den erhöhten Preisen für Cannabisblüten nach der Gesetzesänderung und auf hohen Kosten für einzelne Patienten, die hohe Dosen benötigen. Eine Verallgemeinerung ist allerdings nicht möglich. Das geschieht aber in Ihren Mitteilungen. Eine Therapie mit Dronabinol oder Sativex wäre noch um ein Vielfaches teurer.“

Sehr geehrter Herr Grotenhermen,

die von uns veröffentlichten Kosten der Cannabistherapie beruhen auf Preisermittlungen des AOK Bundesverbandes. Will ich Kosten verschiedener Arzneimittel miteinander vergleichen, muss ich mich zunächst auf therapeutisch vergleichbare Mengen der unterschiedlichen Arzneimittel beziehen, was mit Angabe der Kosten für die zulässige Tageshöchstdosierung auch geschehen ist. Ich gestehe Ihnen natürlich zu, dass in vielen Fällen nicht die Tageshöchstmenge eines Cannabispräparates verordnet werden muss. Dass dann diese Therapie preisgünstiger als die berechnete Tageshöchstverordnungsmenge ist, gilt natürlich für alle der angesprochenen Präparate.

Der AOK Bundesverband hat die möglichen sehr unterschiedlich teuren Kosten für die verschiedenen Cannabispräparate thematisiert und eindeutig ausgeführt, dass sie bezüglich dieser Therapien Wirtschaftlichkeitsprüfungen auf der Basis des SGB V durchführen wird. Ihnen ist ja das SGB V mit der Aussage in § 12, dass wenn zwei gleichwertige Therapien zur Verfügung stehen, allein die preisgünstigere die wirtschaftliche Therapie ist.

Da auf der Basis der von der AOK übermittelten Preise und dem Hinweis auf erfolgende Wirtschaftlichkeitsprüfungen die Gefahr besteht, dass es existenzbedrohenden Regressen bei verschiedenen Praxen kommen kann, hat die KV aus Sorgfaltsgründen die Ärzteschaft hierüber informiert.

Dass das Ganze nicht fiktiv ist sehen Sie an zwei Fällen, bei denen der KV die Behandlungskosten bekannt geworden sind

- Patient 1: 9.216 Euro Kosten für Cannabisblüten vom März bis Juni 2017, Jahrestherapiekosten 36.864 Euro

- Patient 2: 2.438 Euro Kosten für Cannabisblüten für einen Monat, Jahrestherapiekosten 29.256 Euro

Ich gehe davon aus, dass Sie sich der Relevanz dieser Zahlen nicht entziehen können.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. med. Wolfgang LangHeinrich

Vorstandsberater Arznei-, Heil- und Hilfsmittel

Kassenärztliche Vereinigung Hessen

Europa-Allee 90 I 60486 Frankfurt

Einige Pressemeldungen und Informationen der vergangenen Tage

Der große Cannabis-Flop (Stern.de)

Wie Cannabis-Patienten trotz Rezept von der Polizei schikaniert werden (Vice)

Erster Arzt im Hasch-Hungerstreik (Bild)

Interesse an Cannabis als Medizin steigt (Kieler Nachrichten)

Bald kommt noch mehr Cannabis aus Kanada (Berliner Zeitung)

Lindert Schmerzen: Hunderte im Land wollen Cannabis auf Rezept (SWR Aktuell)

Studie zeigt eine potenziell tödliche Folge von Cannabis (Business Insider)

Das müssen Sie über medizinisches Marihuana wissen (Online Focus)

Cannabis: Formen, Wirkung und Risiken (Heilpraxisnet.de)

Drogenbeauftragte warnt vor Verharmlosung von Cannabis (Merkur.de)

Der Cannabis-Apotheker (3sat Mediathek)

Cannabis-Medikation bei ADHS: Ja oder Nein? (ADHS Deutschland e.V.)

Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung vorgestellt:

„Suchtpolitik darf nicht bei den Suchtkranken selbst enden. Wir müssen uns viel mehr als bisher um die Kinder suchtkranker Menschen kümmern“ (Gesundheit adhoc)

Sucht lässt Kinder leiden (neckar-chronik)

Arzt im Cannabis-Hungerstreik (sat.1 NRW)

Drogenbeauftragte sieht »Cannabislobby« (junge Welt)

Buchtipp: „Cannabis gegen Krebs“ (Naturheilkunde bei Krebs)

Cannabis als Medizin legal – doch ist Deutschland dem gewachsen? (Balaton Zeitung)

Steigert Marihuana das Risiko für Herztod? (Ärzte Zeitung)

Deutsche Bahn: Cannabismedizin auf Bahnhöfen ist erlaubt (Deutscher Hanfverband)

Hungern für Cannabis als Heilmittel (Der Patriot)

Normal Episode 34 vom 26.08.2017 (SPORT1)