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ACM-Mitteilungen vom 7. September 2013

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Presseschau: Hanf als letztes Mittel zur Schmerzlinderung (Donaukurier)

Der Donaukurier berichtete über ein Mitglied der ACM, die kürzlich eine Ausnahmeerlaubnis der Bundesopiumstelle zur medizinischen Verwendung von Cannabisblüten aus der Apotheke erhalten hat. Allerdings hatte Antonie Lampl Probleme, eine Apotheke an ihrem Wohnort zu finden, die sich bereit erklärt hätte, die Cannabisblüten für sie zu bestellen. Letztlich musste sie dann auf eine Apotheke im etwa 50 km entfernten München ausweichen.

Hanf als letztes Mittel zur Schmerzlinderung

Presseschau: Macht's, wie ihr wollt (Taz)

Die Taz berichtete über die Entscheidung der amerikanischen Bundesregierung, die Legalisierung von Cannabis für den Freizeitkonsum in den beiden Colorado und Washington zu tolerieren, obwohl der Besitz von Cannabis nach den Bundesgesetzen verboten ist und mit empfindlichen Strafen sanktioniert werden kann.

Macht's, wie ihr wollt

Presseschau: Der Saft von rohem Cannabis Kein neues Wundermittel aus Kalifornien (Grow!)

Die Cannabis-Zeitschrift Grow! Veröffentlicht regelmäßig Artikel von Dr. Franjo Grotenhermen. Diese sind im Allgemeinen nicht online verfügbar, sondern können nur in der gedruckten Ausgabe gelesen werden. Ein Artikel zum möglichen Nutzen von Saft aus rohem Cannabis, ein Thema, das im Internet zurzeit viel diskutiert wird, wurde jedoch nun online gesetzt. Dr. Grotenhermen schreibt auch regelmäßig über medizinische Themen im Hanf Journal, das online verfügbar ist (http://hanfjournal.de/).

Der Saft von rohem Cannabis Kein neues Wundermittel aus Kalifornien

Dr. William Courtney, ein Arzt aus Kalifornien empfiehlt, rohe Cannabisblätter und -blüten zu essen oder Saft daraus herzustellen und ihn, eventuell zur Verbesserung des Geschmacks mit anderen Säften gemischt, zu trinken. Auf diese Weise könnten hohe therapeutische Dosen der wirksamen Cannabisinhaltsstoffe aufgenommen werden, ohne dass psychotrope Wirkungen auftreten. Die grüne Pflanze enthält THC in seiner sauren Form, kurz THCA (im Deutschen THCS) genannt, die in der Tat keine psychischen Wirkungen verursacht. Seit einiger Zeit empfiehlt Dr. Courtney auch die Verwendung von Säften CBD-reicher Cannabissorten, um große Mengen an CBDA (CBD-Säure), anderen Cannabinoiden, Terpenen und weiteren Cannabisinhaltsstoffen aufnehmen zu können. Dieses Verfahren könne nicht nur Krankheiten heilen, sondern auch die allgemeine Gesundheit fördern. Die in diesem Artikel verwendeten Zitate von William Courtney sind einem Artikel der Zeitschrift O’Shaugnessy’s, herausgegeben von dem bekannten kalifornischen Arzt Dr. Jeffrey Hergenrather, entnommen, der sich ebenfalls kritisch mit den Behauptungen seines Kollegen auseinandersetzt.

Der Auslöser für die Begeisterung

Der Auslöser für die Idee, rohen Cannabis medizinisch zu nutzen, war die gesundheitliche Entwicklung von Courtneys Frau Kristen, die an einer schweren chronischen Autoimmunerkrankung leidet, einem systemischen Lupus erythematodes. Es ging ihr seit Jahren sehr schlecht. Ihr Zustand verbesserte sich dramatisch, nachdem sie mehrere Wochen lang rohen Cannabis gegessen und den Saft von THCA-reichen Pflanzen getrunken hatte. In der Tat weist THCA entzündungshemmende Eigenschaften auf, die sich positiv auf chronische Entzündungen bzw. Autoimmunerkrankungen auswirken können. Angeregt durch diesen Erfolg ist das Paar überzeugt, ein neues Heilmittel für chronische Erkrankungen gefunden zu haben. Sie wurden begeisterte Befürworter der Methode, Saft aus rohem Cannabis für die Heilung von Krankheiten und die Gesunderhaltung zu verwenden. Sie behaupten, die Verwendung als Saft sei die beste Möglichkeit, Cannabis einzunehmen. Beim Erhitzen würden viele wertvolle Inhaltsstoffe zerstört. Mittlerweile gibt es vor allem in Kalifornien eine wachsende Fan-Gemeinde dieser Idee. Courtney konnte aber auch bereits in einigen europäischen Ländern Menschen für seine Idee begeistern.

THC ist nicht THCA

Viele der Aussagen von Courtney sind allerdings nicht korrekt, sondern irreführend. Es ist keineswegs so, dass den meisten Patienten mit rohem Cannabis besser geholfen werden könnte als mit erhitztem. Das Umgekehrte ist der Fall, auch wenn nicht erhitzte Cannabinoide wie THCA und CBDA einige pharmakologische Wirkungen besitzen, die bei einigen Patienten von Vorteil sein können. Nicht erhitzte Cannabinoide (Cannabinoid-Säuren) aus der grünen Hanfpflanze haben andere pharmakologische Eigenschaften als erhitzte Cannabinoide in der phenolischen bzw. neutralen Form. Vom THCA (THC-Säure) weiß man, dass es entzündungshemmend wirkt. Der genaue Wirkungsmechanismus ist nicht bekannt. Möglicherweise beruht er auf der Aktivierung eines bestimmten Rezeptors, der GPR55 genannt wird. Möchte man die medizinischen Wirkungen nutzen, die mit einer Aktivierung der Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 verbunden sind, so ist eine Umwandlung der THC-Säure (THCA) in das neutrale THC erforderlich, was meistens durch Erhitzen geschieht, also vor allem durch das Rauchen, das Verdampfen mit einem Vaporizer oder durch die Herstellung von Backwaren mit Cannabis. Erst dann kann man auch die schmerzlindernden, muskelentspannenden, angstlösenden, appetitsteigernden und die anderen bekannten THC-Wirkungen nutzen.

Erhitzen oder nicht erhitzen, worin besteht die Verschwendung?

Je höher die Temperaturen, umso schneller werden die sauren Cannabinoide in ihre neutralen Formen umgewandelt. Bei sehr hohen Temperaturen von 500° Celsius, wie sie beim Rauchen erzielt werden, reichen wenige Sekunden, während bei 150 bis 160° Celsius im Backofen 15 bis 20 Minuten vermutlich optimal sind. Interessanterweise lassen sich mit Cannabis auch Tees zubereiten. Bei einer Wassertemperatur von 100° C reichen 10 oder 15 Minuten nicht für eine optimale Decarboxylierung (Umwandlung in die neutralen Formen) aus, so dass im Cannabis-Tee der überwiegende Teil noch als THCA vorliegt und nur ein kleiner Teil in THC umgewandelt wurde. Will man möglichst viel neutrales THC zur Therapie verwenden, so stellt die Teezubereitung eine offensichtliche Verschwendung dar. Will man möglichst viel THCA aufnehmen, so ist natürlich die Erhitzung eine Verschwendung. Courtney stellt fest: „Der wichtigste psychoaktive Bestandteil von getrocknetem, altem Cannabis ist Delta-9-THC, das nicht im rohen, frischen Blatt vorkommt. Im Allgemeinen erleben Patienten durch den Konsum des rohen Produkts kein „High“. Allerdings können andere Bestandteile der Pflanze, wie etwa die Terpene, einen Effekt auf Stimmung und Energieniveau haben.“ Terpene sind für den Geruch von Cannabis und anderen Pflanzen, wie Kamille, Rosen, et cetera verantwortlich. Ein anderer Name für Terpene ist ätherische Öle, die beispielsweise bei Erkältungskrankheiten medizinisch eingesetzt werden können.

Die Empfehlungen von William Courtney

Courtney empfiehlt, „die Ausweitung unseres Cannabiskonsums von der psychoaktiven 10-Milligramm THC-Dosis auf eine 600- bis 1000-Milligramm Ernährungsdosis". Patienten, die erstmals mit THC behandelt werden, erleben im Allgemeinen bei Dosen von 5 bis 15 mg psychische Wirkungen. Gewohnheitsmäßige Cannabiskonsumenten vertragen häufig 2 bis 5 Gramm Cannabis mit einem THC-Gehalt von 10 bis 20 Prozent, also Dosen zwischen 200 bis 1000 mg, ohne starke psychische Wirkungen zu erleben. Viele Konsumenten nehmen also auch in erhitzter Form THC-Dosen auf, die von Courtney als Ernährungsdosis betrachtet werden.

„Rohe Blüten haben eine höhere Cannabinoid-Konzentration als Blätter und sind eine exzellente Methode des Konsums, wenn du die Ressourcen hast, um das möglich zu machen. Beide sind extrem nützlich, aber am besten werden sie kombiniert. (…) Blüten sollten sich in dem Stadium befinden, in dem die Trichome vollständig ausgebildet, jedoch noch nicht gelb (d. h. getrübt) sind. Blätter zum Essen oder Versaften sollten von den Pflanzen bis in das Blütestadium hinein gepflückt werden“, empfiehlt Courtney. Roher Cannabis sollte im Kühlschrank oder in Beuteln in der Gefriertruhe aufbewahrt werden, um die Frische erhalten zu können. Die Courtneys empfehlen, die Blätter fünf Minuten zu wässern, bevor sie versaftet werden. Der Saft solle in kleine Portionen aufgeteilt werden, die über den Tag verteilt konsumiert werden.

Welche Wirkungen können erwartet werden?

Courtney gibt zu, dass roher Cannabis akute Symptome nicht sofort lindert, aber „einige Effekte können sofort eintreten“. So erwähnt er eine Patientin aus Nordkalifornien, die eine unmittelbare Linderung ihrer schweren Übelkeit erlebte, nachdem sie Cannabis-Saft getrunken hatte.

Vermutlich handelte es sich um eine CBDA-reiche Cannabissorte, denn die Hemmung der Übelkeit ist eine der wenigen bekannten Wirkungen von CBD-Säure. Zwei tierexperimentelle Studien aus dem Jahr 2012 haben gezeigt, dass CBDA Übelkeit und Erbrechen durch Aktivierung des 5-HTA1-Rezeptors hemmt. Auch eine Kombination zusammen mit üblichen brechreizhemmenden Mitteln, wie Ondansetron, ist möglich und kann etwa bei der Übelkeit im Rahmen einer Krebschemotherapie synergistisch genutzt werden. Weitere Effekte von CBDA sind eine Reduzierung der Kontraktionen des Darms und die Hemmung der Ausbreitung von Brustkrebs. Allerdings ist die Wirkung von CBDA auf Krebszellen schwächer als die von neutralem, also erhitztem CBD. Die Wirkungen von CBD gehen über die Wirkungen von CBDA weit hinaus, denn CBD hemmt nicht nur Übelkeit, beeinflusst die Kontraktionen des Darms oder hemmt die Ausbreitung von Brustkrebs, sondern es wirkt darüber hinaus entzündungshemmend, angstlösend, antipsychotisch, krampflösend und nervenschützend. Während eines Vortrags bei einem Kongress von Patients Out of Time im April 2012 wies Courtney wiederholt auf CBD-Forschungsergebnisse hin und tat dabei so, als ließen sich diese Ergebnisse auf CBDA übertragen. Dies ist allerdings keineswegs der Fall. CBDA ist eine Substanz mit anderen pharmakologischen Eigenschaften als CBD. Genauso wie THCA nicht THC mit anderen pharmakologischen Eigenschaften ist.

Von THCA zu CBDA

Kristen Courtney behandelte sich mit Cannabis-Säften, die reich an THCA waren, und profitierte von den entzündungshemmenden Eigenschaften dieses Cannabinoids. Erst in den vergangenen Jahren wurden CBD-reiche Pflanzen identifiziert und für medizinische Zwecke verwendet. In dieser Zeit begannen die Courtneys damit, die Säfte von CBDA-reichen Sorten zu empfehlen.

Da CBD selbst nicht psychoaktiv ist, stellt sich allerdings die Frage, warum man CBD-reichen Cannabis nicht erhitzen sollte, um die vollständige CBD-Wirkung nutzen zu können. Und warum sollte man sich die Mühe machen, Saft aus großen Mengen CBDA-reichen Pflanzenmaterials herzustellen. Selbst in Kalifornien haben die meisten Menschen nicht so viel Material zur Verfügung, dass sie große Mengen an Saft herstellen können.

Wo bekommt man so viel Cannabis her?

Wer trotzdem dem Rat der Courtneys folgen möchte, hat ein Problem. Woher bekommt man so viel Cannabis? Die meisten Patienten können sich solch große Mengen nicht leisten. Selbstanbau ist eine Möglichkeit. Courtney schlägt vor: „Wenn du einen Anbauer kennst, der organisch anbaut, frag ihn, ob du seine überschüssigen Blätter verwenden darfst. (…) Verwende nur organisch angebauten Cannabis, der keine Pestizide enthält.“

Hinsichtlich der Dosierung bleibt Courtney widersprüchlich. Einerseits empfiehlt er täglich 25 große Blätter oder eine frische Blüte zur Erhaltung der allgemeinen Gesundheit. Um aber 600 mg CBD-Säure aufnehmen zu können, benötigt man mehrere 100 Blätter.

Sind THC und CBD synthetische Cannabinoide?

Courtney legt nahe, dass neutrale Cannabinoide den sauren Formen unterlegen seien, weil sie „synthetisch“ sind, da sie nicht von der lebendigen Pflanze produziert würden. Das ist allerdings nicht korrekt. Die Pflanze produziert auch selbst neutrale Cannabinoide. Wenn die Pflanze trocknet, tritt die Decarboxylierung natürlich auf. In Mitteleuropa liegen zwar über 90 Prozent der Cannabinoide in der Pflanze als saure Formen vor, ein kleiner Teil besteht jedoch bereits aus neutralen Formen. In heißen Gegenden der Erde enthält das Harz der Pflanzen häufig natürlicherweise bereits relevante Konzentrationen an neutralem THC und CBD. Das ist der Grund, warum gegessener Haschisch aus diesen Ländern häufig auch ohne Erhitzung psychische Wirkungen verursachen kann.

Wozu diese Fehlinformationen führen können

In dem Artikel für O’Shaugnessy’s erwähnt der Autor einen Mann mit Prostatakrebs, einen Patienten von Dr. Courtney, der das Projekt CBD kontaktierte. Er fragte nach Informationen, wo er große Mengen an CBD-reichem Cannabis erhalten könne. Er erklärte, diesen Cannabis nicht rauchen oder verdampfen zu wollen, weil „Dr. Courtney sagt, dass er nicht wirkt, wenn er erhitzt wird.“ Vielleicht hat der Patient Dr. Courtney missverstanden. Allerdings ist es aufgrund der sonstigen Ausführungen von Dr. Courtney wahrscheinlich, dass er seinen Patienten schlicht überzeugt hat, dass das Essen oder Trinken von Cannabinoidsäuren die beste Art und Weise ist, die Pflanze für ihre medizinischen Zwecke zu nutzen.

Schlussfolgerung

Es mag für einige Patienten von Nutzen sein, die sauren Formen der Cannabinoide (THCA und CBDA) als Saft einzunehmen. Das weitaus größere therapeutische Potenzial besitzen jedoch die neutralen Formen (THC und CBD), die durch Erhitzen entstehen, beispielsweise beim Rauchen oder Backen. Sicherlich ist es gesund, aus Obst, Gemüse und anderen Pflanzen, darunter auch grünen Blättern, Saft herzustellen und diese Säfte regelmäßig zu trinken. Das muss nicht unbedingt Cannabis sein. Wer das volle therapeutische Potenzial der Cannabispflanze nutzen möchte, wird allerdings weiterhin auf die vielen bekannten medizinischen Wirkungen der erhitzten neutralen Cannabinoide zurückgreifen.