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ACM-Mitteilungen vom 27. August 2016

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Liebe Leserin, lieber Leser,

Am Mittwoch, 21. September 2016, findet im Gesundheitssausschuss eine öffentliche Anhörung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Möglichkeiten der medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten statt. Wir möchten alle Interessierten am Thema dazu herzlich einladen. Nach der 1. Lesung im Deutschen Bundestag am 7. Juli 2016 erwarten wir die 2. Lesung und die Verabschiedung des Gesetzes noch in diesem Jahr.

Dr. Oliver Tolmein und ich haben eine Handreichung für Patienten entwickelt, die eine Ausnahmeerlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis anstreben. Diese basiert auf dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in dieser Angelegenheit und Gesprächen mit der Bundesopiumstelle.

Für Mitglieder des SCM (Selbsthilfenetzwerk Cannabis Medizin) wird gerade ein internes Forum eingerichtet, in dem Patienten gemeinsam Antworten auf die Anforderungen der Bundesopiumstelle entwickeln. Wer daran teilnehmen möchte, kann Mitglied in der ACM und im SCM werden und wird dann freigeschaltet.

Eine Mitgliedschaft in der ACM ist auch sonst eine gute Sache, um unsere weitere Arbeit zu unterstützen und selbst auf dem Laufenden zu bleiben.

Viel Spaß beim Lesen!

Herzliche Grüße

Franjo Grotenhermen

Öffentliche Anhörung zum Gesetz zu Cannabis als Medizin

Am Mittwoch, den 21. September 2016 findet von 14 bis 15:30 Uhr eine Anhörung zum

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften

Bundestagsdrucksache 18/8965

und zum

Antrag der Fraktion Die Linke

Zugang zu Cannabis als Medizin umfassend gewährleisten

Bundestagsdrucksache 18/6361

statt.

Ort

Anhörungssaal 3 101,

Marie-Elisabeth-Lüders-Haus (MELH)

Platz der Republik 1

11011 Berlin

Eingeladene Einzelsachverständige:

Professor Dr. Kirsten Müller-Vahl

Dr. Franjo Grotenhermen

Maximilian Plenert

Dr. Oliver Tolmein

so wie bisher nicht benannte Einzelsachverständige

Darüber hinaus wurden Verbände im Gesundheitswesen eingeladen

ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände

Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V.

Bundesärztekammer

Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie

Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin e.V.

Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft Bundesverband e.V.

Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.

Deutscher Hanf Verband

Internationale Arbeitsgemeinschaft für Cannabinoidmedikamente

Kassenärztliche Bundesvereinigung

und weitere

Stellungnahmen der ACM zum Referentenentwurf des Bundesgesudheitsminesteriums und des

Gesetzenwurfs der Bundesregierung finden sich in früheren Ausgaben der ACM-Mitteilungen.

Hinweise zum Eigenanbau von Cannabis durch Patienten

Dr. Oliver Tolmein von der Kanzlei Menschen und Rechte und Dr. Franjo Grotenhermen von der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin haben Hinweise für Patienten formuliert, die einen Antrag bei der Bundesopiumstelle auf einen Eigenanbau von Cannabisblüten stellen wollen und auf beide Webseiten gestellt:

Hinweise auf der ACM-Webseite

Hinweise auf der Seite der Anwaltskanzlei

Diese Hinweise basieren auf Bedingungen, die die Bundesopiumstelle vermutlich akzeptieren wird. Einzig die Variante mit der Bestellung der Samen wurde mit der Bundesopiumstelle bisher nicht diskutiert. Allerdings kann die Bundesopiumstelle wohl kaum erwarten, dass alle Antragsteller bereits auf illegal gezüchtete Pflanzen zurückgreifen können.

Denkbar sind auch weitergehende Varianten, beispielsweise ein Antrag auf einen Eigenanbau, ohne dass ein separater Raum zur Verfügung steht. In Strafverfahren gegen Patienten, die trotz eines illegalen Anbaus von Cannabisprodukten aufgrund eines rechtfertigenden oder entschuldigenden Notstands freigesprochen wurden, haben diese nicht immer einen separaten Raum zum Anbau zur Verfügung gehabt. Man kann auch wohl kaum erwarten, dass gerade wenig vermögende Patienten einen solchen separaten Raum zur Verfügung haben. Allerdings wird die Bundesopiumstelle einen Eigenanbau-Antrag ohne separaten Raum sicherlich nicht ohne Gerichtsbeschluss akzeptieren, sodass dieser gegebenenfalls gerichtlich durchgesetzt werden müsste. Das gleiche gilt für andere Varianten, wie beispielsweise einen gemeinschaftlichen Anbau.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Bundesopiumstelle nur solche Bedingungen akzeptieren wird, zu denen sie rechtlich gezwungen ist, weil der Eigenanbau politisch nicht gewollt ist. Das bedeutet aber nicht, dass weitergehende Anträge mittelfristig völlig aussichtslos sind. Beim Thema Cannabis als Medizin haben sich die Bedingungen in den vergangenen 20 Jahren immer wieder verändert und sie werden sicherlich auch in der Zukunft weiterhin dynamischen Veränderungen unterliegen.

Max Plenert vom Deutschen Hanf Verband hat auf der Grundlage der Handreichung von Dr. Grotenhermen und Dr. Tolmein einen „

Leitfaden für Erlaubnisinhaber zu einem Antrag auf den Eigenanbau von Cannabis“ entwickelt.

Man wird schnell feststellen, dass die spezifischen Bedingungen des Anbaus bei verschiedenen Patienten berücksichtigt werden müssen. Innerhalb des SCM (Selbsthilfenetzwerk Cannabis Medizin) unterstützen sich daher Patienten in einem internen Forum gegenseitig bei ihren Anträgen.

Presseschau: Kasse muss Cannabisblüten nicht zahlen (apotheke-adhoc)

Am 1. Juni 2016 hatte das Sozialgericht Düsseldorf

einem Patienten die Kostenübernahme von Cannabisblüten durch die Krankenkasse zugesprochen. Das Landessozialgericht NRW hat dieses Urteil nun aufgehoben.

Kasse muss Cannabisblüten nicht zahlen

Berlin - Cannabisblüten sollen als Arzneimittel in Apotheken verkauft werden und die Krankenkassen sollen die Behandlungskosten übernehmen. Noch ist es allerdings nicht so weit: Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) entschied, dass ein Schmerzpatient keinen Anspruch auf die Bezahlung einer Therapie mit Cannabisblüten hat. Das Urteil ist rechtskräftig.

Im konkreten Fall leidet der Patient seit einer Hüftgelenkausrenkung im Jahr 2005 an chronischen Schmerzen. Diese wurden unter anderem mit den Analgetika Pregabalin, Gabapentin und Tramadol behandelt. 2014 startete der Arzt versuchsweise eine Therapie mit dem auf einem Cannabis-Wirkstoff beruhendem Medikament Sativex. Beim Patienten löste das Medikament jedoch als Nebenwirkung Kopfschmerzen aus; er habe es überdosiert einnehmen müssen.

Helfen würde ihm dagegen die Anwendung von Cannabisblüten, die ihm der Arzt verordnet hatte, so der Patient. Er stellte bei seiner Krankenkasse daher 2015 den Antrag auf Übernahme der Kosten für das Medizinal-Hanf. Die Kasse lehnte ab: Darauf habe der Patient keinen Anspruch, da die Versorgung mit Cannabisblüten nicht zu den Leistungen der Krankenkasse gehöre. Dazu fehle die erforderliche Empfehlung der Therapie vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Die Kosten für Sativex sicherte die Kasse bis zum 30. November zu.

Gegen diese Entscheidung hatte der Patient geklagt. Er selbst könne die Kosten für die vom Arzt verordneten Cannabisblüten nur noch bis zum 30. Juni tragen. Doch nur mit den Blüten sei es ihm möglich, ein geregeltes Leben zu führen. Zwar habe er keine lebensbedrohliche Krankheit, aber ohne die Therapie könne er seinen Beruf nicht ausüben – das wäre existenzbedrohend, begründete er.

In erster Instanz hatte das Sozialgericht Düsseldorf daher entschieden, dass die Kasse vom 1. Juli bis zum Ende des Hauptsacheverfahrens die Kosten für die Cannabisblüten übernehmen soll. Begründung: Der Patient habe deutlich gemacht, dass andere Therapien gegen seine chronischen Schmerzen nicht ausreichend helfen würden.

Zudem sei es denkbar, dass der G-BA eine Empfehlung für die Therapie mit Cannabisblüten hätte aussprechen sollen. Immerhin solle die Kostenübernahme für die Blüten per Gesetz ermöglicht werden, so die Richter. Außerdem hätte es für den Patienten Nachteile, wenn die Kasse die Behandlung nicht zahlte. Für die Versicherung dagegen wären die Kosten für die Blüten sogar geringer als für Sativex.

Die Krankenkasse ging in Berufung und das LSG änderte den Beschluss der Vorinstanz ab: Der Patient habe keinen Anspruch auf die Kostenübernahme der Cannabisblüten, da die Therapie vom G-BA bisher nicht empfohlen worden sei. Dazu habe es nach Ansicht der Richter auch noch keinen Anlass gegeben. Denn ob Cannabiode für die Indikation Schmerz einen medizinischen Nutzen haben, sei bislang noch nicht ausreichend untersucht worden.

Zudem sei nicht klar, ob der Patient alle anderen denkbaren Therapien schon ausgeschöpft habe, so die Richter weiter. Darüber hinaus leide er nicht an einer tödlichen Krankheit, woraus sich ein Anspruch auf eine nicht dem medizinischen Standard entsprechende Leistung begründen könnte. Den Beruf nicht mehr ausüben zu können, sahen die Richter dabei als irrelevant an. Auch dass Cannabisblüten in absehbarer Zeit erstattungsfähig würden, hat keinen Einfluss: „Entscheidend ist allein die derzeitige Rechtslage“, heißt es im Urteil.

Presseschau: Wie die Pharmaindustrie mit Schmerzen gewinnt (Wirtschaftswoche)

Die Wirtschaftswoche berichtet über den großen pharmazeutischen Markt für Schmerzmedikamente, und dass die Legalisierung von Cannabis als medizinische Zwecke in den USA zu einem Rückgang beim Verkauf von Schmerzmedikamenten führte.

Wie die Pharmaindustrie mit Schmerzen gewinnt

Ibuprofen überholt Aspirin

Parallel dazu floriert der Markt weiter, mal mit dem einen, mal mit dem anderen Wirkstoff. Nach dem Vioxx-Skandal erlebte beispielsweise das Ibuprofen einen enormen Aufstieg.

Denn damals suchten Forscher in groß angelegten Studien erneut bei den rezeptfreien Schmerzmitteln nach Nebenwirkungen aufs Herz-Kreislauf-System. Weil Ibuprofen dabei verhältnismäßig gut abschnitt, da es den Blutdruck nicht so stark anhebt wie die anderen Mittel, galt es anschließend landläufig als nebenwirkungsarm und empfehlenswert. Ärzte verschreiben es zudem gerne vor oder nach Operationen, weil es nicht so stark blutverdünnend ist wie Aspirin – und gleichzeitig entzündungshemmend wirkt. Außerdem fielen die Pillen mit 400 Milligramm des Wirkstoffs 1998 aus der Verschreibungspflicht. Ergebnis: Im Jahr 2013 überholte Ibuprofen mit mehr als 70 Millionen verkauften Packungen in Deutschland Aspirin als stärkstes Schmerzmittel, allerdings generiert Letzteres dank starker Markenstellung mehr Umsatz.

Ein Drittel aller Deutschen nimmt mittlerweile mindestens einmal pro Monat ein Mittel gegen Kopfschmerzen ein. Einen Ausfall wollen viele nicht hinnehmen. Wie damals der Unternehmer Brack, der sich lieber ein starkes Schmerzmittel über Monate hinweg verschreiben ließ. Seine Sucht war unauffällig. Kein Geruch wie von Alkohol, keine schlechten Zähne wie von Crystal Meth, kein aufgedrehtes Verhalten wie von Koks. Erst als er versucht, ohne das Schmerzmittel auszukommen, wird ihm klar, dass er abhängig ist. „Das war die Hölle: Schweißausbrüche, Angstzustände, Schüttelfrost. Da habe ich gemerkt, dass ich ein großes Problem habe“, sagt Brack. Als er sich hier in der My Way Betty Ford Suchtklinik einlieferte, nahm er 180 Tropfen statt der 20. Vier Wochen dauert die Therapie mindestens, jeder Tag kostet mehrere Hundert Euro. Der Chefarzt der Entzugsklinik reduziert täglich die Anzahl der Tropfen, dazu kommen stundenlange Therapiegespräche. Wie viele der 36 Patienten bezahlt auch Brack einen Großteil der Kosten selbst. Es ist ein System aus Medizinern, Pharmafirmen und Apothekern, von denen niemand die Verantwortung für die negativen Folgen und all die Suchtkranken übernehmen will.

Alternativen zu Aspirin & Co

Derweil wird an alternativen Möglichkeiten geforscht, um Schmerz zu bekämpfen. Zum Beispiel Cannabis aus Hanf. Ein Wissenschaftlerteam der Universität Toronto hat vor zwei Jahren sechs Studien ausgewertet, die den pflanzlichen Wirkstoff untersuchten. In allen wurde die schmerzlindernde Wirkung bestätigt, wenn auch teilweise in Kombination mit anderen Medikamenten. Die Bundesregierung, will deshalb dafür sorgen, dass schwerkranke Patienten medizinisches Cannabis aus der Apotheke erhalten können. Der Hersteller pflanzlicher Medizin Bionorica produziert bereits Hanf für rund 500 Patienten, die sich mit einer Ausnahmegenehmigung Hanfblüten aus der Apotheke besorgen können. Bionorica bemüht sich aktuell um die Arzneimittel-Zulassung für ein Cannabis-Präparat. Damit könnten Mediziner das Medikament anders als bisher, wo Patienten selber zahlen, auf Kosten der Krankenkassen verschreiben.

Entsprechend bedroht sehen die Pharmafirmen ihr Geschäft mit dem Schmerz.

Und so werden Feindes-Feinde zu wichtigen Verbündeten: Der amerikanische Opioid-Hersteller Abbott Laboratories etwa finanziert gemeinsam mit dem Konkurrenten Purdue eine Initiative, die sich in den USA gegen die Liberalisierung von Cannabis einsetzt, die Anti Drug Coalition of America. Denn wenn das Mittel einmal liberalisiert wurde, dürfte es auch auf Kosten der Versicherungen verschrieben werden. Den meisten Patienten würde das vermutlich helfen. Big Pharma aber wäre um ein schönes Geschäftsmodell ärmer. Und viele Konsumenten um einen einfachen Weg, in der Leistungsgesellschaft mitzuhalten

Presseschau: Cannabis als Medizin: Letzte Ölung (Süddeutsche Zeitung)

Die Süddeutsche Zeitung berichtet über das Thema Cannabis in der Krebstherapie und greift die übertriebenen und unverantwortlichen Heilsversprechen von Rick Simpson und seinen Jüngern an.

Cannabis als Medizin: Letzte Ölung

Im illegalen Dunkel gedeiht auch der Mythos. Der größte? Dass Cannabis Krebs heilt. Bislang gibt es nur wenige überprüfte medizinische Anwendungsmöglichkeiten.

In einer anderen Stadt würde der Mann auf der Straße niemandem auffallen. Ein rüstiger Rentner halt, einer unter vielen. In der kroatischen Metropole Zagreb aber erkennen selbst junge Leute Rick Simpson inzwischen. Und wünschen sich ein Selfie mit ihm.

Simpson ist Kanadier und ein Star in der Cannabisszene. Nicht zuerst, weil er sich für eine Legalisierung der Droge starkmacht, das tun heute viele Menschen. Sondern weil er den vielen Cannabismythen einen weiteren, atemberaubenden hinzufügt: Das ölige Extrakt der Pflanze, sagt Simpson, heile nämlich Krebs. Er selbst will es erlebt haben, als er in den 1990er-Jahren an einem Melanom erkrankte, schwarzer Hautkrebs, fortgeschritten, der Anfang eines langen Leidenswegs - wie er sagt. Und Simpson sagt es oft. Im Internet, in Fernsehinterviews, wo immer man hören will, dass er irgendwann keine Chemotherapie mehr wollte, deshalb anfing, sich mit selbst produziertemCannabisöl zu behandeln. Und schließlich, wie es in solchen Geschichten halt zu enden hat, vom tödlichen Krebs geheilt war. Das jedenfalls behauptet Simpson, der angeblich auch nicht von seiner Entdeckung profitieren will, das Öl aber seither für mehr als den Eigenbedarf produziert.

Weltweit behandeln sich Krebspatienten inzwischen in Eigenregie mit Rick Simpsons Öl. Man kann nur ahnen, wie viele es sind, wenn man sich in den einschlägigen Foren im Internet umsieht. Und man muss hoffen, dass diese Menschen für das Öl nicht ihre Therapien abgebrochen haben. Wissenschaftlich gibt es nämlich keine Belege für das, was Simpson behauptet. Und man darf den Begriff "Cannabis als Medizin" eben nicht falsch verstehen. Dass Cannabis ein Segen sein kann, daran zweifeln selbst seriöse Spezialisten heute kaum. Als gut verträgliches Schmerzmittel, Arznei gegen Spastiken oder effiziente Hilfe gegen die Übelkeit während einer Chemotherapie haben sich Cannabisextrakte und selbst gewöhnliches Marihuana bewährt. Nur muss man Letzteres rauchen, und das geht den meisten Ärzten dann doch zu weit. So wie sie die Erlaubnis dafür erhalten, verschreiben sie den Extrakt Sativex oder das teils synthetische Dronabinol, das aus den USA importiert werden kann. In der Komplementärmedizin hat Cannabis einen Platz. Aber als Heilmittel?

Die Hoffnung ist nicht wirklich neu. Von einer Anti-Krebs-Wirkung des Cannabiswirkstoffs THC wurde erstmals Mitte der 1970er-Jahre berichtet, richtig verfolgt wurden die Hinweise erst in den 1990er-Jahren. Es ist, unabhängig vom Image des Kandidaten, völlig normal, dass sich Forscher so einen Stoff irgendwann ansehen. Gerade im Fall Cannabis aber sind aus den Erkenntnissen allzu rasch voreilige Schlüsse gezogen worden. Wie im Fall jener Studien, die der Toxikologe Burkhard Hinz an der Universität Rostock durchgeführt hat.

Hinz ist Grundlagenforscher, er arbeitet mit Tumorzellen, nicht mit Patienten. In der Petrischale setzt er die Krebszellen den sogenannten Cannabinoiden, also Cannabiswirkstoffen aus. Dann beobachtet er, was mit den Zellen passiert. Solche Experimente sind hilfreich und üblich, um mögliche Wirkstoffe gegenKrebs auszumachen und die Mechanismen zu erkennen. Bei Hinz haben die Versuche gezeigt, dass Cannabinoide in vitro, im Glas, einen besonderen Sterbemechanismus in entarteten Zellen auslösen können. Außerdem betätigen sie eine Reihe von biochemischen Schaltern, die eine Versorgung von Krebszellen mit Blut vermindern könnten. Theoretisch könnten sie so auch die Metastasierung eines Tumors hemmen.

Sicher ist das allerdings nicht. In einer Petrischale gibt es nun mal keine Metastasen, an denen man derlei erkennen könnte. Zu finden sind nur die Stoffe, die eine Krebszelle unter dem Einfluss der Cannabinoide produziert. Ob sie auch im Körper produziert werden und tatsächlich wirken? Hinz hat, als er ein Paper im angesehenen Faseb Journal veröffentlichte, gesagt: "Die Analyse der Anti-Krebs-Wirkung von Cannabinoiden hat das Stadium der experimentellen Forschung bisher nicht überschritten." Experimentell heißt: im Zellversuch. Oder in Mäusen, bei denen man ebenfalls Effekte von Cannabinoiden auf künstlich erzeugte Krebsgeschwüre gefunden haben will. Vergleichbares haben Forscher schon für Catechine aus Grüntee und Sulforaphane aus Brokkoli festgestellt. Und die können keinen Krebs heilen. Was fehlt, sind wissenschaftliche Studien, die Anti-Krebs-Effekte von Cannabis im Menschen belegen. Und zwar durch sorgfältige Untersuchungen an mindestens ein paar Dutzend Patienten.

Seinen Leberkrebs spuckte er angeblich aus. Ein Jahr später starb er an Lungenkrebs

Die Gläubigen im Cannabisölkosmos ficht das jedoch nicht an, ihnen reicht der dramatische Einzelfall, die Mär vom Wunder. Wie die Geschichte von Michael Cutler, der vor vier Jahren an Leberkrebs erkrankte und nach einer Transplantation erneut einen Tumor in der Spenderleber entwickelte. Der Überlieferung nach sahen die Ärzte für Cutler keine Chance und schickten ihn mit einer Krankenhauspackung Morphium nach Hause. Dann entdeckte der Todkranke Cannabisöl. Er nahm es ein und spuckte seinen Leberkrebs angeblich aus. Danach soll der Mann krebsfrei gewesen sein. Im selben Jahr starb er dennoch - und zwar an Lungenkrebs. Dafür haben die Vertreter der Anti-Krebs-Cannabis-Hypothese aber eine Erklärung: Der Tumor habe eine weitere Einnahme des Öls verhindert, die aber nötig gewesen wäre, um die Wirkung gegen den Krebs aufrechtzuerhalten.

So steht es in einem pseudowissenschaftlichen Pamphlet, das der kalifornische Cannabis-Aktivist Justin Kander verfasst hat. Auf mehr als 170 Seiten walzt er jeden Verdacht zum Beweis aus, man kann sich das Papier im Internet herunterladen. Wer am Inhalt zweifelt, Fragen stellt, macht sich den schönen Traum vom Zaubermittel gegen Krebs schnell kaputt. Auf alle anderen wartet die letzte Ölung.

Presseschau: US-Behörde votiert gegen Liberalisierung von Cannabis (Deutsche Apotheker Zeitung)

In den USA wird Cannabis zwar nicht aus der strengsten Betäubungsmittelkategorie umgestuft, aber immerhin dürfen Forscher auch auf andere Quellen für Cannabisblüten zurückgreifen als bisher nur auf den Anbau an der Universität von Mississippi.

US-Behörde votiert gegen Liberalisierung von Cannabis

Die US-amerikanische Drogenbehörde DEA kam einer Petition von Gouverneuren nicht nach: Cannabis bleibt neben LSD und Heroin in der höchsten Betäubungsmittelklasse, Kokain oder Crystal Meth werden als weniger riskant eingestuft. Dabei ist Hanf in einigen Bundesstaaten problemlos erhältlich. Die Forschung zu medizinischen Zwecken wird etwas erleichtert.

Der Antrag zweier amerikanischer Gouverneure blieb erfolglos: Wie Ende vergangener Woche bekannt wurde, stuft die US-Drogenbehörde DEA Cannabis weiterhin in die höchste Gefährdungsklasse ein. Damit ist der Umgang mit Cannabis nach den Bundesgesetzen äußerst stark reglementiert, auch Forschung bleibt weiterhin nur mit Ausnahmegenehmigungen möglich.

„Die Grundlage dieser Entscheidung ist, ob die Arzneimittelbehörde FDA es als sicheres und wirksames Arzneimittel ansieht“, betont DEA-Chef Chuck Rosenberg. Ein „enormes Gewicht“ habe die Beurteilung der FDA gehabt, dass Cannabis in den USA „keinen akzeptierten medizinischen Nutzen“ hat, erklärt er – und dass es sowohl ein hohes Missbrauchspotenzial habe als auch in den USA die am meisten konsumierte illegale Droge sei.

Drogenbehörde gibt ihr Monopol auf

Nach Ansicht der DEA sei weder die Wirkweise von Marihuana verstanden oder nachvollziehbar, noch gäbe es adäquate Sicherheits- und Wirksamkeitsstudien. „Es gibt keine Evidenz über einen Konsens unter qualifizierten Experten, dass Marihuana zur Behandlung für eine spezifische, anerkannte Erkrankung sicher und wirksam ist“, stellt der Bericht der Behörde fest. Derzeit stünden keine kontrollierten Studien zur Verfügung, dass ein möglicher Nutzen von Cannabis dessen Risiken übersteige.

Laut Kritikern trägt die Behörde mit ihrer restriktiven Politik jedoch zu der fehlenden Evidenz bei – denn Forschung mit Cannabis ist nur unter stark erschwerten Bedingungen möglich. An einem Punkt will die DEA es Wissenschaftlern zukünftig leichter machen: Sie gibt ihr Anbaumonopol für Cannabis zu Forschungszwecken auf, aktuell dürfen Hanfpflanzen zu Forschungszwecken nur an der Universität von Mississippi gezüchtet würden.

Mehr Vielfalt für die Cannabis-Forschung

„Wir wollen die Verfügbarkeit, die Vielfalt und die Arten von Cannabis, die berechtigten Wissenschaftlern zur Verfügung stehen, erhöhen“, erklärt DEA-Chef Rosenberg. Seine Behörde verteidigte sich, sie habe „niemals“ einen Antrag für ein rigoroses medizinisches Forschungsprojekt abgelehnt – und dass derzeit beispielsweise auch Projekte liefen, die die Auswirkungen des Rauchens von Cannabis auf Probanden untersuchen.

Dabei gab die DEA zu, dass die Entscheidung „seltsam“ erscheinen könnte – denn beim Umgang mit Cannabis gibt es erhebliche Widersprüche zwischen der Gesetzgebung aus Washington und den Regelungen in den einzelnen Staaten. In vier Bundesstaaten – Colorado, Washington, Alaska und Oregon – darf Cannabis frei konsumiert werden. Weitere Staaten wie beispielsweise Kalifornien könnten sich in bald anstehenden Abstimmungen anschließen.

Rückschlag und Fortschritt

Darüber hinaus erlauben 25 Bundesstaaten wie auch der District of Columbia, zu dem die Hauptstadt gehört, die Anwendung von Cannabis für bestimmte medizinische Zwecke. Auch hatte sich der Parteitag der Demokraten vor wenigen Wochen für eine weitere Liberalisierung ausgesprochen.

Das aktuelle Votum der DEA, Cannabis in der höchsten Betäubungsmittelklasse zu belassen, erschwere derartige Bestrebungen, sagte der frühere Drogenbeauftragte von Obama, Kevin Sabet. „Dies ist eine Verteidigung der Wissenschaft und Menschen, die sich für einen langsamen Ansatz ausgesprochen haben“, sagte Sabet laut der „Los Angeles Times“. „Ich denke, es ist ein schlechter Tag für Liberalisierungsbestrebungen – und ein guter Tag für Wissenschaftler.“